Kopie

oder Fälschung?


Während die übrigen Modelle

aus meiner Werkstatt möglichst originalgetreue

Reproduktionen oder Rekonstruktionen von Originalinstrumenten

des 18. und 19. Jahrhunderts sind, handelt es sich bei der „Eigentopf“-Flöte, wie

der Name schon andeutet, eher um eine Eigenschöpfung, als um die Kopie eines Instrumentes

des Leipziger Instrumentenmachers Eichentopf.



Das Original


Johann Heinrich Eichentopf (1678-1769) war ein Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs und wie dieser lebte und arbeitete er einen großen Teil seines Lebens in Leipzig. Ihm wird die Erfindung der Oboe da caccia zugeschrieben - möglicherweise sogar durch Bach angeregt. Heute sind von Eichentopf hauptsächlich Oboen erhalten. Leider wissen wir aber nur von einer einzigen Flöte und dieses Instrument wurde nachträglich so stark verändert, dass wir den Originalzustand bestenfalls erahnen können.


Die ganz aus Elfenbein gearbeitete Flöte befindet sich heute im Besitz des Instrumentenmuseums der Universität Leipzig. Um den ursprünglich vermutlich unter 400 Hz gelegenen Stimmton zu erhöhen, wurden sämtliche Teile der Flöte gekürzt. Auch die meisten Drechselprofile wurden dementsprechend umgearbeitet. Schlimmer noch - das ursprünglich weiter am Ende der Flöte liegende, vermutlich eher runde Mundloch wurde verschlossen und durch ein moderneres, ovales Mundloch an anderer Stelle ersetzt. Normalerweise wäre eine Bestandsaufnahme in Hinblick auf eine mögliche Kopie spätestens hier zu Ende - wäre da nicht das höchst ungewöhnliche Innenleben der Flöte.


Die auffallend schwach konische Bohrungen mit deutlichen Absätzen zwischen den einzelnen Teilen der Flöte lässt auf ein sehr frühes vierteiliges Instrument schließen. Obwohl der Konus sich ungewöhnlicherweise auch im Fußstück fortsetzt, ist so der Innendurchmesser der Flöte an ihrem Ende überraschend weit. Da kaum davon auszugehen ist, dass Eichentopf einen experimentellen Prototyp ausgerechnet aus Elfenbein gebaut hat, liegt der Flöte möglicherweise ein bisher unbekanntes Konzept zu Grunde.



Die Fälschung


Wenn es auch auf Grund der vielen Veränderungen des Originalinstrumentes nicht möglich war, eine seriöse Kopie der Eichentopf-Flöte zu bauen, so hat es mich doch gereizt auszuprobieren, ob dieses Bohrungskonzept überhaupt funktionieren kann und wie das Ergebnis wohl klingt.


Da ich bei diesem Experiment keine Rücksicht auf den (ohnehin spekulativen) Stimmton des Originals nehmen musste, habe ich mich dafür entschieden meine „Fälschung“ kompromisslos auf die heute übliche Stimmung von 415 Hz auszurichten (siehe unten). Dabei habe ich mich von der Frage leiten lassen, wie Eichentopf wohl vorgegangen wäre, wenn man ihn gebeten hätte, sein Konzept auf diese Stimmung zu übertragen.


Zunächst habe ich versucht, anhand der unverändert gebliebenen Position der Grifflöcher sowie der sichtbaren Spuren der Verkürzung die Originalproportionen zu bestimmen und diese dann auf 415 Hz zu übertragen. Die Flöte erhielt ein nicht zu kleines, rundes und relativ steilwandiges Mundloch.


Aufgrund des sehr hohen Gewichtes von Elfenbein ist die originale Eichentopf-Flöte sehr dünnwandig gebaut. Um dieses Konstruktionsmerkmal auf eine Holzflöte zu übertragen, habe ich mich bei meiner „Fälschung“ für sehr breite Zierringe aus schwerem Kunstelfenbein entschieden, die der ansonsten recht schlank gebauten Flöte mehr Masse verleihen. Auf diese Weise entsteht eine klanglich sehr reizvolle Balance zwischen Klang und Resonanz, die die Besonderheit einer nur schwach konischen Flöte noch mehr zur Geltung bringt.


Besonders stark ist dieser Effekt bei der Verwendung von Buchsbaum. Bei der Verwendung von Ebenholz wird der Klang etwas kräftiger. Das schwerere Holz setzt dem Spieler aber auch einen etwas größeren Widerstand entgegen. Grenadill verleiht der Flöte einen noch durchsetzungsfähigeren Klang. Allerdings wird dadurch der Ton auch etwas schärfer und deutlich weniger resonant.



Standardstimmung 415Hz?


415 Hz gilt seit Jahrzehnten im Bereich der Alten Musik als Standardstimmung für Barockmusik. Das ist bei Lichte betrachtet höchst erstaunlich, denn tatsächlich gibt es aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts kaum Originalinstrumente für diesen Stimmton. Die meisten erhaltenen Flöten spielen deutlich tiefer, um 400 Hz, einem Stimmton der heute oft als exotisch belächelt wird. Bestenfalls finden wir Instrumente, die zwar über ein Mittelstück für 415 Hz verfügen, mit ihren längeren Mittelstücken aber deutlich besser klingen und stimmen.


So spielen die meisten Flötisten heute - historische Aufführungspraxis hin oder her - auf viel zu späten Instrumenten (z.B. Palanca, G.A. Rottenburgh, Grenser), benutzen Instrumente mit Mittelstücken, die unnötig viele Kompromisse erfordern (z.B. Denner) oder verlassen sich gleich ganz auf Instrumente, die auch hinsichtlich ihres Klanges und ihrer Lautstärke „den modernen Bedingungen“ angepasst wurden, mit ihren historischen Vorbildern aber möglicherweise nicht mehr viel gemein haben.


Auf der anderen Seite ist eine Stimmung von 415 Hz natürlich auch nicht von vornherein „unhistorisch“. Schließlich hat es im frühen 18. Jahrhundert, wie die Castel-Flöte zeigt, sogar deutlich höher gestimmte Instrumente gegeben. Vor diesem Hintergrund ist meine Eigentopf-Flöte weder eine Kopie, noch gänzlich eine Eigenschöpfung, sondern der Vorschlag einer Flöte, wie sie hätte sein können...
















All of Bach: BWV 232



Fridtjof Aurin   Traversflöten   Düsseldorf

F. A. Eigentopf, Düsseldorf, 2016

Buchsbaum, Ebenholz oder Grenadill

mit Silberklappe, 415 Hz

Foto: Ulrich Ehret

Eigentopf_files/BWV%20232%20Benedictus.mp4

Marten Root